Krankheiten, die mit Entzündungen und Fieber verbunden sind, beeinflussen die Herzratenvariabilität (HRV). Mit der Beobachtung der zeitlichen Verläufe von HRV-Werten wird oft die Möglichkeit von frühzeitigen Diagnosen verbunden. Ob das auch bei Virusinfektionen mit Fieber möglich ist, war für mich eine interessante Frage. Im Folgenden werde ich anhand zweier Beispiele die Veränderungen der wesentlichen HRV-Werte darstellen und die Möglichkeit der Früherkennung diskutieren.
Für beide Beispiele stehen Diagramme über den zeitlichen Verlauf der Körpertemperatur, des Ruhepulses sowie der HRV-Werte RMSSD und SDNN während der Krankheitsphase zur Verfügung. Für einige Tage vor und nach der Krankheitsphase können auch Daten ausgewertet werden, weil die betroffene Person regelmäßig morgens nach dem Aufwachen eine HRV-Messung durchführt.
Die verwendeten Messungen wurden alle morgens nach dem Aufwachen ungefähr zur selben Zeit im Liegen vorgenommen. Die Verläufe der Durchschnittswerte beziehen sich auf einen viel längeren Zeitraum als die Krankheitsphase und stellen einen personenbezogenen Mehrjahresdurchschnitt dar.
Die aufgezeichneten RR-Intervalle können auch als “Poincaré-Kalender” (meine Wortschöpfung) dargestellt werden. Die Poincaré-Diagramme sind pro Tag, jeweils Montag bis Sonntag, mit einer Kennzeichnung der Krankheitsphase angeordnet.
Beispiel 1
Die betroffene Person litt im Zeitraum vom 13.03.2020 bis 29.03.2020 unter Symptomen, die von einem Allgemeinmediziner zwar mit einer Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit dokumentiert wurden, aber nicht eindeutig einer Infektion durch Influenza-, Corona- oder Rhinoviren zugeordnet werden konnten. Am ersten Krankheitstag wurde morgens Fieber mit 39 Grad gemessen. In den folgenden Tagen war nur noch eine erhöhte Temperatur festzustellen. Jedoch entwickelte sich unmittelbar ein starker Husten mit weißem Auswurf (Produktiver Husten), der sich nur sehr langsam zurückbildete.
Meine Interpretation der Auswertungen von Beispiel 1:
- Der Ruhepuls stieg, wie es nicht anders zu erwarten war, mit dem Fieber bzw. der erhöhten Körpertemperatur an.
Auffällig ist, dass der morgendliche Ruhepuls, nachdem die Körpertemperatur wieder normal war, bis zum Ende der Krankheitsphase über dem Langzeitdurchschnitt blieb. - Die RMSSD- und SDNN-Werte wurden mit dem Auftreten des Fiebers deutlich geringer und blieben für die komplette Krankheitsphase unterdurchschnittlich gering.
- Das Aufkommen einer fiebrigen Erkrankung ist aus den Messungen von den Vortagen nicht klar erkennbar.
Wären auch abends HRV-Messungen durchgeführt worden, hätte evtl. bereits am Abend des 12.3.2020 Veränderungen festgestellt werden können. - Das Ende der Krankheitsphase ist insbesondere im Poincaré-Diagramm aus der Ausprägung und Lage der Punktwolke erkennbar und nachvollziehbar.
- Aus den leicht ungewöhnlichen Poincaré-Diagrammen vom 6. und 7.3.2020 auf eine Infektion zu schließen, die sich nach einer entsprechenden Inkubationszeit erst am 13.3.2020 morgens in Form von Fieber mit Husten zeigte, hielte ich für ungesichert und mutmaßend.
Beispiel 2
Die betroffene Person litt im Zeitraum vom 30.01.2017 bis 03.02.2017 unter Symptomen, die von einem Allgemeinmediziner einer Infektion mit Influenzaviren zugeordnet wurde. Am ersten Krankheitstag wurde morgens Fieber mit 40,5 Grad gemessen. Innerhalb der folgenden 3 Tage fiel die Körpertemperatur, begleitet von typischen Erkältungssymptomen, auf Normalwerte zurück.
Meine Interpretation der Auswertungen von Beispiel 2:
- Der Ruhepuls stieg erwartungsgemäß mit dem plötzlich aufgetretenen hohen Fieber auf entsprechend hohe Pulsraten an.
Im Gegensatz zu Beispiel 1 sank der morgendliche Ruhepuls mit der Körpertemperatur und blieb nicht über dem Langzeit-Durchschnitt, nachdem die Körpertemperatur wieder normal war. - Die RMSSD- und SDNN-Werte wurden mit dem Auftreten des Fiebers eindeutig erkennbar geringer und blieben für die komplette Krankheitsphase unterdurchschnittlich gering.
- Das Ende der Krankheitsphase ist insbesondere im Poincaré-Diagramm aus der Ausprägung und Lage der Punktwolke, wie im Beispiel 1, eindeutig nachvollziehbar.
- Die leicht ungewöhnlichen Poincaré-Diagramme vom 22. und 23.01.2017 geben keinen klaren Hinweis auf eine Infektion, die sich nach einer entsprechenden Inkubationszeit erst am 30.01.2017 morgens in Form von hohem Fieber zeigte. Ein Zusammenhang ist auch deshalb schwierig herstellbar, weil wegen der Symptome eine Influenza-Infektion diagnostiziert wurde und hier allgemein eine Inkubationszeit von durchschnittlich nur 1 bis 2 Tagen angenommen wird.
- Auffällig ist, dass am Vortag der Erkrankung der RMSSD-Wert weit überdurchschnittlich hoch war und der SDNN-Wert ebenfalls über den Durchschnitt lag. Aber: Ist daraus das Aufkommen einer fiebrigen Erkrankung eindeutig erkennbar?
Mein Fazit
Die oft wahrgenommene Aussage, dass mit der Beobachtung der persönlichen HRV-Werte das Aufkommen von Krankheiten schon lange vor dem Auftreten von Symptomen erkennbar sei, kann ich zumindest anhand der beiden Beispiele von Erkrankungen mit auftretendem Fieber nicht bestätigen.
Für andere Krankheiten will ich aber nicht ausschließen, dass regelmäßige HRV-Messungen – in Verbindung mit mehr medizinischem Fachwissen und Erfahrung – doch ein geeignetes Werkzeug zur Früherkennung, Diagnose und Prävention sind. Dies scheint mir insbesondere bei Krankheiten möglich, die sich langsam entwickeln und von Defiziten bei körperlicher und geistiger Entspannung herrühren. Aus diesem Grund halte ich es für sinnvoll, die persönlichen HRV-Parameterwerte regelmäßig, in individuell angepassten Abständen zu messen. Dadurch lassen sich gesundheitliche Veränderungen ergänzend zur subjektiven Einschätzung wahrnehmen.
PS: Die ausgewerteten Daten wurden mit der HRV-App EliteHRV und einem Brustgurt Polar H10 Herzfrequenz-Sensor gemessen, exportiert und mit Hilfe der Programmiersprache R von Erich Langenbuch aufbereitet.